Angst- und schmerzfrei gebären

Dem Thema Geburt begegnet kaum eine Schwangere ohne ein bestimmtes Bild im Kopf. Das sowohl bewusst als auch unterbewusst verankerte Bild der Geburt kann ein positives Bild sein – aber genauso gut ein negatives. Doch woher kommt es?

Text: Helene Kilb

Die Antwort ist einfach: zum Beispiel von Verwandten, Bekannten und Freunden, von den oft überdramatisierten Geburtsdarstellungen in Filmen oder Erfahrungsberichten auf Blogs, Klinik-Bewertungsportalen und Online-Magazinen. Das Problem dabei: Keine dieser Geschichten ist die eigene – denn jede Geburt ist einzigartig.

Dessen müsse man sich erst einmal bewusst werden, sagt Katharina Pahl. Sie arbeitet als Coachin, unter anderem für Schwangere und Mütter, hat ihren Sohn selbst schmerzfrei zur Welt gebracht und auf Basis ihrer Erfahrungen das Buch „Sanft gebären“ (EMF Verlag) geschrieben. „Eine Geburt muss nicht wehtun“, sagt sie. Die wichtigste Voraussetzung für eine schmerzfreie Geburt ist ihr zufolge, dem Ereignis der Geburt angst- und vorurteilsfrei zu begegnen. Es sei gewissermaßen wie beim Zahnarzt, sagt die Coachin Pahl, „wenn der sagt: ‚Jetzt wird es gleich wehtun‘ – warum sagt er denn nicht: ‚Es wird gleich ein komisches Gefühl sein‘? Ein komisches Gefühl macht keine Angst und keinen Schmerz.“

Ängste abbauen mit der richtigen Vorbereitung

Die Coachin Katharina Pahl habe vor ihrer eigenen Geburt oft an die Worte der amerikanischen Hebamme Ina May Gaskin gedacht, erzählt sie. Gaskin beschreibt die Geburt als „Mount-Everest-Besteigung der Körperfunktionen“. „Mit einem Wochend-Geburtsvorbereitungskurs kann es daher nicht getan sein“, sagt Pahl. Es gelte, ein Gefühl der Sicherheit herzustellen, sich sagen zu können: „Alles, was ich zur Vorbereitung beitragen konnte, habe ich gemacht“ – sei es die richtige Ernährung, Meditation, Yoga oder eine liebgewonnene Gewohnheit, die einfach guttun.

Zur mentalen Vorbereitung gehört es, die eigene Intuition zu stärken – eine Fähigkeit, die vielen Menschen immer mehr verlorengeht, die sich Pahl zufolge aber leicht trainieren lasse. Und das lohnt sich. „Denn unser Verstand ist unglaublich schnell mit pragmatisch-praktischen Lösungen zur Stelle“, sagt die Coachin. Wenn etwa eine Wehen unerwartet heftig einsetzt, könnte eine solche „Verstandslösung“ der Impuls sein, sich der Wehe entgegenzustellen, die Luft anzuhalten oder gleich nach einer PDA zu verlangen. „Aber was wir wollen, ist manchmal nicht, was wir brauchen“, sagt Pahl. Sie rät daher zu mehr Achtsamkeit, um die innersten Bedürfnisse, Gefühle und Wünsche wieder ungetrübt von äußeren Einflüssen wahrzunehmen. Konkret bedeutet das, während der Geburt den Verstand und seine impulsiven Lösungen gewissermaßen auf stumm zu schalten und sich stattdessen ganz auf die Geburt einzulassen.

 

Cover Buch

Das Umfeld als Risiko

Nicht nur die innere Erwartungshaltung, auch das Umfeld während der Geburt kann Ängste und damit Schmerzen verursachen, wie schon der englische Gynäkologe Grantly Dick-Read in den  20er Jahren herausfand. Heutzutage ist dieses Umfeld für den Großteil der Frauen in Deutschland eine Klinik. Die Geburtsmedizin – also das Kontrollieren, Messen und Überwachen von Mutter und Kind – hat hier den Vorrang vor der der Geburtshilfe, die auf die natürliche Geburtskraft der Frau setzt. Das heißt jedoch nicht, dass eine Frau eher auf Daten und Werte als auf ihre eigene Intuition vertrauen sollte, denn: „Man muss sich vor Augen halten, dass hier zwei verschiedene Sichtweisen aufeinanderprallen“, erklärt Katharina Pahl: die eigene und die des Klinikpersonals. Indem das Personal beispielsweise ein CTG aufzeichnet, der Mutter einen Infusionszugang legt und allerlei Werte bei Mutter und Kind erfasst, schafft es sich eine rechtliche Absicherung, falls bei der Geburt wider Erwarten doch etwas schiefgeht.

Sich selbst und die eigenen Bedürfnisse kennenlernen

Darüber hinaus ist es wichtig, eine „Expertenrolle“ für sich zu übernehmen, wie die Coachin es ausdrückt. Dabei gehe es darum, sich selbst zu fragen: „Was brauche ich, damit ich mich sicher und wohl fühle?“ – und sich nicht zu fragen, was man nicht wolle. Sie selbst, erzählt Pahl, wollte beispielsweise vor der Geburt das Krankenhaus und den Arzt vorher gut kennenlernen. Ihren Mann habe sie „genötigt“, ein Buch über Hypnobirthing zu lesen, damit dieser ihr dabei während der Geburt helfen konnte. „Und wenn es einer Frau Sicherheit gibt, dass ihr Termin für den Kaiserschnitt schon vorher feststeht, dann ist das auch in Ordnung“, sagt Pahl. Ebenfalls eine gute Voraussetzung für eine möglichst sanfte Geburt ist laut Pahl das „ Umsorger-Team“, das die werdende Mutter schon im Vorhinein zusammenstellen sollte. Das kann neben dem eigenen Mann oder der Frau auch eine Schwester, Freundin, Doula, eine Wunschhebamme oder jemand anders sein – so kann jede Frau der großen Unbekannten namens Geburt mit Zuversicht entgegensehen.

Die Rolle der Hormone

Ob eine Geburt schmerzfrei abläuft oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab: etwa wie schnell sich der Muttermund öffnet, wie groß das mütterliche Becken ist und wie groß der Kopf des Kinds. Neben diesen natürlichen Voraussetzungen spielt jedoch das hormonelle Zusammenspiel eine große Rolle, das im Idealfall abläuft wie folgt: Hormonelle Veränderungen in der Plazenta sorgen dafür, dass Oxytocin ausgeschüttet wird, das erste, unregelmäßige Wehen produziert. Jede Wehe verursacht der Frau kurzzeitigen Stress, wodurch ihr Körper Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin bildet – und infolgedessen wiederum Oxytocin und Endorphine. Das geschieht Wehe für Wehe: Beim Höhepunkt jeder Wehe schüttet der mütterliche Körper die Stresshormone aus, gefolgt von einem Schwung Oxytocin und Endorphine in der Wehenpause, die die Kontraktionen einerseits in regelmäßigen Abständen kommen lassen und gleichzeitig die Kontraktionen nach und nach verstärken, damit sich der Muttermund langsam öffnet und die Gebärmutter das Kind hinausschieben kann. Damit das Zusammenspiel von Stresshormonen, Oxytocin und Glückshormonen im Gleichgewicht bleibt, ist es wichtig, dass der Körper während der Wehenpausen komplett „herunterfährt“ und entspannt. Gelingt das nicht, überfluten die Stresshormone den mütterlichen Körper dauerhaft und sorgt für eine ständige Anspannung. Diese Anspannung kann Schmerzen und „unproduktive“ Wehen verursachen, die zwar wehtun, aber die Geburt nicht vorantreiben.

 

Portraitfoto Helene

Gastautorin

Helene Kilb
Redakteurin bei Textkonfekt

Als freiberufliche Redakteurin schreibt Helene am liebsten über alles, was sie selbst begeistert. Das sind zum Beispiel Themen rund um Schwangerschaft, Kinder und Familie, aber auch Themenbereiche wie Interior, Nachhaltigkeit und Mode.