Werdende Mütter müssen ihrem Arbeitgeber nicht von ihrer Schwangerschaft berichten. Allerdings entgehen ihnen dann auch die Privilegien des Mutterschutzes. Welche dazu gehören, weiß Hannah Tatzky von der Gewerkschaft Verdi. Sie sieht bei den aktuellen Regelungen Verbesserungsbedarf.

 

 

Frau Tatzky, mit welchem Problem schwangerer Arbeitnehmer*innen werden Sie bei ver.di am häufigsten konfrontiert?

Hannah Tatzky: Das aktuell größte Problem aus ver.di-Sicht sind die frühen Berufsverbote. Laut Mutterschutzgesetz ist es die Aufgabe des Arbeitgebers, bei einer potenziellen Gefährdung der Schwangeren oder des ungeborenen Kindes nach alternativen geeigneten Tätigkeiten im Betrieb zu schauen oder die Arbeit entsprechend umzuorganisieren. Viele Arbeitgeber machen es sich leicht und schicken die Frauen sofort nach Bekanntgabe der Schwangerschaft nach Hause. Das hat zwar für die Frauen keine Einkommenseinbußen zur Folge, viele fühlen sich aber verunsichert und isoliert. Sie wollen gerne arbeiten. Corona hat dieses Problem sicherlich noch verstärkt, weil es beispielsweise in Krankenhäuser, Pflegeheimen, Schulen und Kitas durch die Pandemie zu stärkeren Gefährdungen kommt. Dadurch werden noch mehr Frauen sehr früh nach Hause geschickt.

Portrait Hannah Tatzky

Ein Beispiel

Der Mutterschutz untersagt den Umgang mit Blut und Exkrementen, einem Großteil von Salben und Desinfektionsmitteln sowie Schweres Heben oder das Arbeiten in der Nacht. Pflegepersonal und Ärztinnen, die sich fit fühlen, möchten aber gerne an Bord bleiben. Das Klinikum Karlsburg in der Nähe von Greifswald hat deshalb das Projekt „Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestartet“. Jede Station hat zum Beispiel eine Liste, welche Tätigkeiten Schwangere verantwortungsbewusst übernehmen können und dürfen. Ein Gremium von Mitarbeiter*innen verantwortet das dynamische Konzept und berät in der Schwangerschaft und nach der Elternzeit.

Rechte und Pflichten von Schwangeren

Was genau regelt denn das Mutterschutzgesetz?

Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) gilt seit 1952 für jede schwangere oder stillende Frau, die sich in Deutschland in einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis befindet. Es schützt gleichermaßen Voll- und Teilzeitbeschäftigte sowie Heimarbeiter*innen, Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst und seit 01.01.2018 auch arbeitnehmerähnlich Beschäftigte sowie Schüler*innen und Student*innen vor gesundheitlichen Risiken und Schäden, die vom Arbeitsplatz ausgehen könnten. Außerdem soll es die Betreuung der Säuglinge und Kleinkinder erleichtern. Für Beamt*innen, Richter*innen und Soldat*innen gelten gesonderte Regelungen nach den entsprechenden Verordnungen des Bundes und der Länder.

Muss ich meinem Arbeitgeber Bescheid geben, wenn ich schwanger bin?

Nach §15 MuSchG sollen die Schwangerschaft und der errechnete Entbindungstermin (ET) dem Arbeitgeber mitgeteilt werden, sobald man davon erfährt. Da es nur eine sogenannte Sollvorschrift ist, ist dies keine obligatorische Pflicht. Den Zeitpunkt bestimmt daher die Schwangere selbst. Auf Verlangen des Arbeitgebers sollte zudem ein Attest über die Schwangerschaft vorgelegt werden. Üblich ist es, den Arbeitgeber nach dem Ende der 12. Woche zu informieren. In manchen Branchen oder bei bestimmten Tätigkeiten, mit denen eine Schwangerschaft unvereinbar ist, wie zum Beispiel in einem Chemielabor oder bei körperlich schwerer Arbeit, sollte die Schwangerschaft schon früher mitgeteilt werden. Denn solange der Arbeitgeber nicht von der Schwangerschaft weiß, gelten die Rechte aus dem Mutterschutzgesetz nicht.

Welche Rechte sind das denn zum Beispiel?

Das Recht auf ein Beschäftigungsverbot vor und nach der Geburt und Elternzeit, den Anspruch auf eine Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber sowie das Schaffen angemessener Arbeitsbedingungen und Regelungen bezüglich der Arbeitszeit. Schwangere dürfen zum Beispiel keine Mehrarbeit (maximal 8 ½ Stunden täglich, § 4 MuSchG), keine Nachtarbeit (§5 MuSchG) und keine Sonn- und Feiertagsarbeit (§6 MuSchG) leisten. Und die Ruhezeit von 11 Stunden nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit darf nicht verkürzt werden (§ 4 MuSchG). Vor und nach der Geburt werden Schwangere für Untersuchungen, die nur während der Arbeitszeit möglich sind, und für das Stillen (12 Monate nach der Geburt) ohne Entgeltausfall freigestellt (§ 7 MuSchG, § 23 MuSchG). Die Zeit muss weder vor- noch nachgearbeitet werden, aber natürlich sind Schwangere dazu angehalten, möglichst einen Arzttermin außerhalb der Arbeitszeit zu erhalten.

Ein Beispiel

Eine schwangere Geographin arbeitet täglich von 8 bis 17 Uhr in einem Büro für Geoarchäologie. Ihr behandelnder Gynäkologe führt das sogenannte Zweittrimester-Screening immer nur Dienstagvormittag in einer gesonderten Sprechstunde durch, weil die Untersuchung lange dauert und er sich pro Patientin eine Stunde Zeit für den Ultraschall und die anschließende Besprechung blockt. Die Angestellte muss von ihrem Arbeitgeber für den Arztbesuch, der nur während der Arbeitszeit möglich ist, entgeltlich freigestellt werden. Es ist nicht nötig, dafür einen Urlaubstag zu nehmen oder Minusstunden aufzuschreiben.

 

Beschäftigugnsverbot und Mutterschutz

Kein Wunder, dass das Mutterschutzgesetz ausgedruckt 18 Seiten lang ist. Und welche Pflichten für die (werdende) Mutter gehen daraus hervor?

Zum einen die Sollvorschrift zur Bekanntgabe der Schwangerschaft, zum anderen eine mögliche Versetzung. Kann eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen eine Gefährdung der Schwangeren oder des Kindes nicht beseitigen, kann der Arbeitgeber die schwangere oder stillende Frau auf einem anderen geeigneten Arbeitsplatz einsetzen – dieser muss jedoch zumutbar sein (§ 13 Abs. 1 Nr.2 MuSchG). Was zumutbar ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab und sollte zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer*in abgestimmt werden. Zudem entscheidet die behandelnde Ärzt*in individuell, welche Tätigkeiten in der jeweiligen Schwangerschaft möglich sind.

Was hat es mit dem Verbot der Beschäftigung auf sich?

Damit ist der umgangssprachliche Mutterschutz gemeint. Er beginnt sechs Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin. Die Schutzfrist verkürzt oder verlängert sich entsprechend, je nachdem wann die Entbindung tatsächlich stattfindet. Auf den Mutterschutz vor der Entbindung kann freiwillig verzichtet werden. Nach der Geburt gilt ein achtwöchiges Verbot der Beschäftigung, beziehungsweise zwölf Wochen bei Frühgeburten, Mehrlingsgeburten oder einem Kind mit Behinderung. Der Mutterschutz nach der Entbindung verlängert sich bei vorzeitiger Entbindung um die Tage, die vor der Entbindung nicht in Anspruch genommen werden konnten.  Während des Mutterschutzes erhält man Mutterschaftsgeld von der gesetzlichen Krankenkasse (§ 19 MuSchG, maximal 13 Euro täglich). Dazu gibt es vom Arbeitgeber einen Zuschuss, sodass man auf sein bisheriges Nettogehalt kommt (§§ 20,21 MuSchG).

Immer wieder berichten Frauen, dass Ihnen noch vor der Elternzeit Projekte entzogen werden oder keine Fortbildungen mehr bewilligt, mit der Begründung, dass sich das „jetzt nicht mehr lohne“. Was kann ich tun, wenn ich aufgrund meiner Schwangerschaft im Job benachteiligt werde?

Diskriminierung wegen des Geschlechts, und damit auch wegen einer Schwangerschaft, ist im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verboten. Kommt es zu Problemen sollte man zunächst das Gespräch mit der oder dem Vorgesetzen suchen. Kommt man hier zu keiner Lösung, kann man von seinem Beschwerderecht aus § 13 AGG Gebrauch machen. In manchen Betrieben existiert dafür extra eine Beschwerdestelle. Außerdem kann man sich an seinen Betriebs- oder Personalrat und an seine Gewerkschaft wenden. Im Rahmen einer individuellen Rechtsberatung kann man klären lassen, ob eine Klage Sinn macht.

Darf man in der Schwangerschaft oder während der Elternzeit gekündigt werden?

Nach § 17 MuSchG gilt ein Kündigungsverbot während der Schwangerschaft und bis zum Ende der Schutzfrist nach der Entbindung, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung. Ebenso gilt ein Kündigungsverbot bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche. Das Kündigungsverbot gilt aber nur dann, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft, die Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche oder die Entbindung bekannt ist oder wenn sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Das heißt im Falle einer Kündigung sollte die Mitteilung über die Schwangerschaft umgehend, innerhalb von zwei Wochen, nachgeholt werden. Wird dennoch gekündigt, muss man innerhalb von drei Wochen nach Zustellung der Kündigung eine Kündigungsschutzklage erheben. Während der Elternzeit gilt § 18 BEEG (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz): Der Arbeitgeber darf das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Elternzeit verlangt worden ist, und während der Elternzeit nicht kündigen.

 

 

Systematische Diskriminierung

„Eine junge Wissenschaftlerin bekam nach einem Vorstellungsgespräch bei einer Forschungseinrichtung eine verbindliche Zusage per E-Mail. Einige Tage später, noch vor Antritt der Stelle, teilte sie ihre Schwangerschaft mit. Die Forschungseinrichtung behauptete daraufhin, das Bewerbungsverfahren sei noch gar nicht abgeschlossen gewesen und nahm die Zusage zurück. Die Schwangere zog einen Rechtsanwalt zu Rate und erwirkte einen Vergleich über 25.000 Euro“ (Sebastian Bickerich, Pressesprecher der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes in Berlin).

 

Wo gibt es aus ver.di-Sicht noch Verbesserungspotenzial im Bereich Mutterschutz?

Unsere Kritikpunkte an der Reform des Mutterschutzgesetzes im Jahr 2018 sind zum Beispiel die „Genehmigungsfiktion“ für Ausnahmen von der Arbeit in den späten Abendstunden, eine mangelnde Kontrolle der Einhaltung durch Aufsichtsbehörden und der unbestimmte Rechtsbegriff „unverantwortbare Gefährdung“ – es ist schwer zu greifen, was darunter zu verstehen ist. Außerdem ist die Gefährdung durch psychische Belastungen unzureichend im Gesetz verankert. Für die Bundestagswahl 2021 hat ver.di deshalb Forderungen an die Parteien gestellt. Gute, gesellschaftliche Rahmenbedingungen und gleichberechtigte Teilhabe-Chancen am Arbeitsmarkt sind die Basis für eine eigenständige Existenzsicherung von Frauen und Müttern. Die Herausforderungen der Corona-Pandemie wie Home Office, Kinderbetreuung und Home Schooling dürfen nicht zu einer Rückwärtsrolle bei der Gleichstellung führen. Wir wollen eine zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik, die eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Müttern sichert.

 

[1] https://www.wzb.eu/de/pressemitteilung/frauen-werden-bei-der-ausbildungssuche-diskriminiert 

[2] https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2019/06/13/better-work-life-balance-for-parents-and-carers-in-the-eu-council-adopts-new-rules/#