Frauen im gebärfähigen Alter werden auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Das belegen Studien und Erfahrungsberichte. Nur langsam wird dem Karriererisiko „weiblich, 30+“ zu Leibe gerückt; daher hilft Frauen manchmal nur der Gang vor Gericht, um sich zu wehren.
In Deutschland gibt es das Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Demnach dürfen Arbeitgeber*innen im Bewerbungsprozess niemanden aufgrund von Alter oder Geschlecht diskriminieren – rein theoretisch. In der Praxis sieht das anders aus: Dorothea Kübler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hat 2017 eine Studie[1] zur Geschlechterdiskriminierung veröffentlicht und forscht seit vielen Jahren zum Thema. Ihre These lautet eindeutig: Frauen werden bei der Jobsuche diskriminiert: „Die Bewerbungen von Frauen werden schlechter als die männlicher Bewerber eingestuft, auch wenn sie die gleichen Voraussetzungen (wie Notendurchschnitt oder Berufserfahrung) mitbringen“.
Dr. Corinna Frodermann, Mitarbeiterin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), untersucht seit Jahren die Entwicklung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. „Die Studienlage zu den Arbeitsmarktchancen von potenziellen Müttern ist eher dünn besiedelt, trotzdem besteht Evidenz für deren Benachteiligung: Die Einstellungschancen nehmen zu, wenn Frauen nicht mehr im gebärfähigen Alter sind“. Eine französische Studie hat mittels eines Experiments untersucht, wer zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wird. Das Ergebnis: Zwischen älteren Männern und Frauen wurden dabei keine Unterschiede gemacht, während jüngere Frauen signifikant seltener eingeladen wurden als gleichaltrige Männer.
Dann geht die Reise eben weiter
„Als ich nach der Elternzeit mit 25 Wochenstunden zurückgekehrt bin, wurde das nur zähneknirschend gestattet. In meiner Abwesenheit fand eine Umstrukturierung statt, ein neuer Standort wurde aufgekauft und es gab auf einmal einen Kollegen, der für dasselbe zuständig war wie ich. Nach drei Monaten habe ich meinem Vorgesetzten gesagt, dass ich mehr Verantwortung übernehmen möchte und dann hieß es, als Mutter und in Teilzeit sei das in der gewünschten Form nicht möglich. Ich bekam eine Randgruppe zugeteilt und erledige nun die Aufgaben von anderthalb Vollzeitstellen, weil ein Kollege im Zuge der Umstrukturierung gekündigt und das Aufgabengebiet stillschweigend auf mich übertragen wurde. In einem halben Jahr endet meine Elternzeit und ich plane nicht, in Vollzeit zurückzukehren. Stattdessen versuche ich mir ein zweites Standbein als Selbstständige aufzubauen und befinde mich derzeit in einer lockeren Bewerbungsphase.“
Franziska D. (32), Mutter von einem Kind (2 Jahre alt), strategischer Einkauf
„Arglistig getäuscht“
Diese Probleme kennt auch Sebastian Bickerich, Pressesprecher der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes (ADS) in Berlin. Insgesamt erreichten die ADS 3.256 Anfragen (seit der Gründung 2006) zur Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, davon bezogen sich 358 Anfragen zur Benachteiligung aufgrund einer Schwangerschaft. „Konkret schildern uns Frauen im gebärfähigen Alter in unserer Beratung, dass sie schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und nicht eingestellt werden, da der Arbeitgeber eine Schwangerschaft befürchtet – selbst, wenn die betroffenen Frauen gar keinen Kinderwunsch haben. In bestehenden Arbeitsverhältnissen berichten Frauen, dass ihnen betriebliche Weiterbildungen verwehrt werden mit der Begründung, dass sich das jetzt nicht mehr lohnen würde“, sagt Bickerich. Immer wieder melden sich bei der ADS Bewerberinnen oder weibliche Beschäftigte, die nach Bekanntgabe einer Schwangerschaft die bereits (schriftlich) getätigte Stellenzusage wieder entzogen oder das Arbeitsverhältnis wegen „arglistiger Täuschung“ nachträglich aufgelöst werden sollte.
In derart eindeutigen Konstellationen, die praktisch leicht nachweisbar und durch die einschlägige Rechtsprechung ausgeurteilt sind, lohnt sich der Gang vor Gericht. Nach dem AGG gilt im Allgemeinen, dass es keine Benachteiligung wegen des Geschlechts im Arbeitsleben geben darf. Arbeitgebende müssen in einem Unternehmen für ein diskriminierungsfreies Umfeld sorgen. Bewerbungsverfahren, Vergütungen, Kündigungen und andere Belange müssen benachteiligungsfrei erfolgen. „Eine junge Wissenschaftlerin konnte einen Vergleich über 25.000 Euro erwirken, weil ihr eine Stelle bei einer Forschungseinrichtung nach dem Vorstellungsgespräch zunächst verbindlich per E-Mail zugesagt wurde und dann, nachdem sie eine Schwangerschaft mitgeteilt hatte, behauptet wurde, das Bewerbungsverfahren sei noch gar nicht abgeschlossen gewesen“, erinnert sich Bickerich. Auch eine Entfristung oder entgegen vorheriger Zusage abgelehnte Verlängerung befristeter Arbeitsverträge nach Bekanntgabe einer Schwangerschaft ist rechtswidrig – die Beweislast für andere Gründe liegt beim Arbeitgeber.
Benachteiligt vom Männerregime
„Schon in der Schwangerschaft habe ich meinem Chef gegenüber klar kommuniziert, dass ich nach einem Jahr Elternzeit wieder in Vollzeit durchstarten möchte. Er hat mich diesbezüglich nicht ganz für voll genommen und meinte auch nach meiner Rückkehr mehrfach, dass ich in Teilzeit wechseln könne, wenn es nicht funktioniert. Das war einerseits nett, andererseits war er offensichtlich der Meinung, dass ich die Situation mit Kind unterschätze. Als Sahnehäubchen wurde mir die Jahresabschlussprämie verwehrt, weil ich aufgrund der Elternzeit angeblich zu wenige Monate gearbeitet hätte. Im Gespräch mit anderen Kolleginnen, die Mütter sind, stellte sich heraus, dass ich kein Einzelfall im Unternehmen bin: Als Frau, und vor allem als Mutter, wird man von der ausschließlich männlichen Geschäftsführung ganz klar benachteiligt.“
Magdalena A.* (35), Mutter von zwei Kindern (3 Jahre und 1 Jahr alt), Projektmanagerin
Karrierebooster Vaterschaft
Für die Benachteiligung von Müttern auf dem Arbeitsmarkt gibt es mehr Evidenz. Forschungsbefunde aus dem nationalen und internationalen Kontext zeichnen, mit einzelnen Ausnahmen, ein eindeutiges Bild: „Grundsätzlich werden Mütter seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen, seltener als geeignet für Führungspositionen angesehen und bekommen niedrigere Einstiegsgehälter als Männer/Väter/kinderlose Frauen angeboten“, sagt Frodermann. Auch die Kinderzahl ist dabei nicht irrelevant, wie eine belgische Studie herausgefunden hat: „Mütter mit nur einem Kind wurden häufiger abgestraft als Mütter mit zwei Kindern, vermutlich da bei Ihnen das Risiko einer erneuten Schwangerschaft höher war.“
Als untersuchte Gründe für diese Benachteiligung nennt Frodermann, dass Mütter als emotionaler, weniger belastbar, flexibel, motiviert und karriereorientiert eingeschätzt werden. Außerdem gingen Arbeitgeber*innen davon aus, dass sie häufigere Fehlzeiten aufgrund der Kinderbetreuung haben werden. Männer hingegen werden als weiterhin als kompetent und zusätzlich als warmherzig und freundlich wahrgenommen, sobald sie Väter werden. „Während Mütter also für die Karriere eher negative Attribute zugeschrieben bekommen, profitieren Väter und werden teilweise sogar häufiger zu Bewerbungsgesprächen eingeladen als kinderlose Männer. Dabei gibt es keine großen Unterschiede nach Branchen oder Bildungshintergrund“, fasst Frodermann zusammen.
Von wegen „familienfreundlich“
„Als ich nach einem Jahr Elternzeit zurückgekehrt bin, wurde mir mitgeteilt, dass ich zu 60 bis 100 Prozent in Kurzarbeit geschickt werde. Die Begründung: Du bist als Letzte aus der Pause zurückgekommen und jetzt ist keine Arbeit mehr da. Klar, Corona und Kurzarbeit sind real, aber wieso muss eine Mutter, die ein Kind zu versorgen hat in Kurzarbeit gehen und andere Mitarbeiter*innen, die „nur“ sich selbst versorgen, nicht? Auch eine Verteilung auf alle Schultern wäre eine mildere Lösung gewesen, dies wurde aber wegen zu viel verwaltungstechnischem Aufwand abgelehnt. Letztlich hat sich eine Woche vor meiner Rückkehr ein neues Projekt ergeben und jetzt arbeite ich zu 100 Prozent. Aber die Art und Weise, wie mit mir umgegangen wurde, war nicht familienfreundlich, obwohl der Arbeitgeber sich gerne damit brüstet. Das war schon vor meiner Elternzeit so: Ich hatte ein bestimmtes Alter erreicht und dann wurde darauf gewartet, wann ich schwanger werde. Im Gespräch mit einem Leitenden wurde mir sogar bestätigt, dass für Frauen im Unternehmen keine Karrierechancen bestehen.“
Rebecca S.* (32), Mutter von einem Kind (1 Jahr alt), Teamkoordinatorin und Fachreferentin
Der Wandel beginnt
Bei der Weleda A.G. liegt der Frauenanteil heute bei 70 Prozent, an mehreren Stellen im Unternehmen gibt es bereits Führungstandems. „Mitarbeitende werden in unserem Unternehmen nicht als Funktionsträger*innen, sondern als Menschen gesehen, die in den Lebensfeldern Beruf und Privatleben Verantwortung tragen. Wir schaffen mit geeigneten Angeboten Rahmenbedingungen, damit der individuelle Balance-Akt gelingen kann. Wir unterstützen sehr bewusst unsere (werdenden) Eltern, zum Beispiel mit einer Betriebskindertagesstätte, einem Ruheraum für (werdende) Mütter, der Möglichkeit Vergütung in Freizeit umzuwandeln und einer sehr offenen Regelung für mobiles Arbeiten“, sagt Stefanie Schwegler, Leitung HR Management bei Weleda.
Ein anderes positives Beispiel ist das DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main. „Ich wurde letztes Jahr im August eingestellt, trotz Befristung der Stelle bis Ende 2021 und obwohl ich da bereits schwanger war. Ich habe direkt gesagt, dass mein Mann Elternzeit nimmt und ich das Projekt zu Ende führen kann“, erzählt Melanie Verhovnik-Heinze. Sie ist in einem Drittmittelprojekt im Bereich Evaluation und Extremismusprävention tätig und arbeitet seit dem Ende des Mutterschutzes wieder zu 100 Prozent. „Aktuell arbeite ich aufgrund der Corona-Pandemie vollständig im Home-Office und kann meine Arbeitszeiten flexibel zwischen 6 und 22 Uhr legen. Aber auch ohne Corona-Pandemie hätte ich die Möglichkeit gehabt, maximal die Hälfte meiner Arbeitszeit zu Hause zu verbringen. Zudem gibt es im Institut ein Eltern-Kind-Zimmer, um beispielsweise zu stillen. Das erleichtert immens die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das DIPF ist wirklich ein sehr familienfreundlicher Arbeitgeber“, resümiert sie.
Solche positiven Erfahrungen sind heute Ausnahmen, aber trotz des ernüchternden Fazits lässt sich rückblickend ein positiver Wandel feststellen. Die Antidiskriminierungsstelle beschäftigt sich derzeit in einer empirischen Studie mit der Frage nach Diskriminierungsrisiken fürsorgender Erwerbstätiger im Kontext von Schwangerschaft, Elternzeit und Pflege von Angehörigen. Bis zum Sommer 2022 muss eine zugehörige EU-Vereinbarkeitsrichtlinie[2] in nationales Recht umgesetzt werden.
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[1] https://www.wzb.eu/de/pressemitteilung/frauen-werden-bei-der-ausbildungssuche-diskriminiert
[2] https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2019/06/13/better-work-life-balance-for-parents-and-carers-in-the-eu-council-adopts-new-rules/#
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