Kaum ein Thema beschäftigt Eltern mehr als der Babyschlaf. Das Durchschlafen wird als entscheidender Entwicklungsschritt betrachtet und oft herbeigesehnt. Möglicherweise können Babys schlafen lernen – aber müssen sie das auch? Wie viel Schlaf ein Kind braucht, ist von Geburt an sehr unterschiedlich. Im Durchschnitt schlafen Neugeborene zwischen 14 und 18 Stunden am Tag, es können aber auch 12 oder 20 Stunden sein. Selbst bei Schulkindern schwankt der tägliche Schlafbedarf von Kind zu Kind um ca. zwei Stunden. Babys richten sich aber nicht nach einem Tag-Nacht-Rhythmus, sondern arbeiten ihren Schlafbedarf gleichermaßen tags und nachts ab.1 Darunter leiden vor allem die Eltern. Schon in der Schwangerschaft bereitet sich der weibliche Körper darauf vor, künftig einen leichteren Schlaf zu haben. Auf den ersten Blick macht das wenig Sinn, brauchen doch vor allem Mütter nachts Erholung. Auf den zweiten Blick dafür aber umso mehr: Kein Lebewesen wird unreifer geboren als der Mensch. Unser Kopf, der im Verhältnis zum Körper ungeheuer groß ist (verglichen mit anderen Säugetieren), passt nur in einer Mini-Ausgabe durch den mütterlichen Geburtskanal. Das Gehirn wächst also vor allem nach der Geburt, dafür umso rasanter: In den ersten drei Lebensjahren vergrößert es sich um das zwei- bis dreifache. 2

Durchschlafen ist kein Entwicklungsschritt

Und dieses Wachstum kostet Energie. Tatsächlich ist das Gehirn das metabolisch “teuerste” Organ des Menschen. Deshalb darf ein Baby evolutionsbedingt keine Gelegenheit verpassen, um sich mit Energie zu versorgen – auch, wenn es nachts ist. Und dazu braucht es die stillende (oder Flasche gebende) Mutter. Gestillte Säuglinge, die neben ihrer Mutter schlafen, nehmen durchschnittlich ein Drittel mehr Kalorien zu sich als die, die im eigenen Bett schlafen. Des Weiteren ist wissenschaftlich erwiesen, dass sich die Schlaf- und Wachphasen von Mutter und Kind, die nebeneinander schlafen, unterbewusst aufeinander abstimmen. Evolutionsbiologisch betrachtet war das Einschlafen ohne Schutz von Erwachsenen in der menschlichen Frühgeschichte ein Todesurteil: Ungeschützte Babys wurden gefressen, sind erfroren oder verhungert. Und dieser Umstand blieb bis ins Kleinkindalter bestehen. Zum natürlichen Lernprogramm eines kleinen Kindes gehört deshalb zwar laufen lernen oder sauber werden, aber sicher nicht selbstständig schlafen. Nächtliches Durchschlafen ist also kein Entwicklungsschritt, sondern abhängig von den richtigen Umweltbedingungen: Um einzuschlafen, muss ein Baby oder Kind nicht nur müde, satt und warm, sondern auch frei von Angst sein. Eine stillende Mutter befriedigt diese Bedürnisse (abgesehen von der Müdigkeit) übrigens alle gleichzeitig.

Bedürfnisorientierte Schlafbegleitung

Dieses Wissen alleine hilft, die ein oder andere harte Nacht leichter wegzustecken. Schlafen Eltern aber über Wochen oder Monate hinweg deutlich zu wenig, besteht Handlungsbedarf. Hilfestellung geben kann beispielsweise eine Schlafberaterin, wie Marei Theunert eine ist. Sie fängt Eltern in Krisensituationen auf, stellt deren Handlungsfähigkeit wieder her und erarbeitet gemeinsam mit den Familien einen Plan zur bedürfnisorientierten Schlafbegleitung. Vielen Eltern bekannt ist die sogenannte Ferber-Methode (siehe Infokasten), welche Studien zufolge 3 das gewünschte Ergebnis erzielen kann. Welche Folgen das sogenannte “ferbern” für Mutter und Kind hat, ist aus wissenschaftlicher Sicht noch nicht ausreichend geklärt. Es wird laut Theunert angenommen, dass die Methode schädlich für die Kindsentwicklung sei und dadurch beispielsweise im Erwachsenenalter vermehrt psychische Erkrankungen auftreten können.

Die Ferber-Methode

Die prototypische Methode des kontrollierten Schreienlassens nach Dr. Richard Ferber wurde in den 1980er Jahren in den USA entwickelt. Bei dieser Methode sollen Eltern ihre Kinder minutenlang schreien lassen, bevor sie zu ihm gehen und es kurz trösten. Schreit das Kind weiter, werden die Abstände sukzessive immer größer. Ferber empfiehlt die Anwendung seiner Methode ab ca. sechs Monaten, weil nach seiner Annahme in diesem Alter praktisch kein Kind mehr gestillt wird.

Aus evolutionsbiologischer Sicht trifft das “ferbern” Babys gleich auf drei Ebenen: Säuglinge sind gewohnt, die für den Schlaf benötigte Entspannung an der Brust zu finden. Zudem trösten sie sich in beängstigenden Situationen vorzugsweise an der Brust. Zum dritten fehlt ihm die elterliche Präsenz, die es bei dieser Verunsicherung zu Recht erwartet – und in anderen Situationen (tagsüber) fraglos bekommt.

Individuelle Grundbedürfnisse berücksichtigen

Marei Theunert findet, dass schon der logische Menschenverstand gegen das “ferbern” spricht: Ein Kind, egal ob ein halbes Jahr oder zwei Jahre alt, das in seiner Not alleine gelassen wird und minutenlang vor sich hin weint, entwickelt ganz natürlich Ängste und Bindungsschwierigkeiten. Wissenschaftlich repräsentative Studien, die diese Effekte belegen, gibt es tatsächlich bislang nicht – diese Aussage stützt sich auf Theunerts langjährige berufliche Erfahrung.

Ihrer Erfahrung nach ist die größte Stellschraube beim Thema Babyschlaf die Berücksichtigung der Bedürfnisse aller Beteiligten – und ihrer Charaktereigenschaften. Manchmal sind es sogar ganz einfache Dinge, die einen großen Unterschied machen: Zum Beispiel das zu laute Rascheln der Bettdecke, das den Babyschlaf stört. Unausgeschlafene und verzweifelte Eltern erkennen solche Optionen oft gar nicht und sind umso dankbarer um die Hilfestellung.

Marei Theunert